AMS-Frühwarnsystem: Einvernehmliche Auflösungen während der Wartefrist sind nicht unwirksam
Beabsichtigt ein Dienstgeber, innerhalb eines Zeitraums von 30 Tagen eine Anzahl an Dienstverhältnissen aufzulösen, die die in § 45a AMFG geregelten Schwellenwerte überschreiten, wird das AMS-Frühwarnsystem ausgelöst. Die Schwellenwerte werden erreicht, wenn die folgende Anzahl an Dienstverhältnissen aufgelöst werden soll: (i) mindestens fünf Dienstnehmer in Betrieben mit mehr als 20 und weniger als 100 Beschäftigten, (ii) mindestens 5 % der Dienstnehmer in Betrieben mit 100 bis 600 Beschäftigten, (iii) mindestens 30 Dienstnehmer in Betrieben mit mehr als 600 Beschäftigten oder (iv) mindestens 5 Dienstnehmer, die über 50 Jahre alt sind. Die Überschreitung der Schwellenwerte führt dazu, dass das AMS mindestens 30 Tage vor der ersten Erklärung der Auflösung eines Arbeitsverhältnisses (Wartefrist) von der Auflösungsabsicht schriftlich informiert werden muss. Wird die Meldung unterlassen oder eine Kündigung innerhalb der 30-tägigen Wartefrist bzw. vor einer bereits zuvor erteilten Zustimmung durch das AMS ausgesprochen, ist diese unwirksam.
In einer aktuellen Entscheidung hatte sich der Oberste Gerichtshof (OGH) im Zusammenhang mit dem AMS-Frühwarnsystem damit auseinanderzusetzen, ob auch eine einvernehmliche Auflösung, die während der Wartefrist bzw. vor einer Zustimmung durch das AMS erfolgt, unwirksam ist (OGH 24.06.2021, 9 ObA 47/21h).
Im gegenständlichen Fall beantragte der Dienstgeber, der Betreiber eines Hotels, auf Grund der COVID-19-Situation am 12.03.2020 beim AMS die Zustimmung zum Ausspruch von Kündigungen vor Ablauf der 30-tägigen Wartefrist. Bereits am 13.03.2020 wandte sich der Dienstgeber an mehrere Dienstnehmer – darunter auch die Klägerin – und schloss mit diesen Vereinbarungen über die einvernehmliche Beendigung des Dienstverhältnisses zum 14.03.2020 ab. Erst am 21.03.2020 wurde vom AMS die Zustimmung zum Ausspruch der Kündigungen vor Ablauf der Wartefrist erteilt. In weiterer Folge machte die Klägerin geltend, dass ihre während der Wartezeit und vor Zustimmung durch das AMS abgeschlossene Auflösungsvereinbarung unwirksam sei und ihr Dienstverhältnis daher erst mit Ablauf der Befristung am 06.05.2020 enden würde. Der OGH stellte klar, dass eine beabsichtigte einvernehmliche Auflösung zwar bei der Berechnung der Schwellenwerte für die Auslösung des Frühwarnsystems zu berücksichtigen ist (das Gesetz stellt hier eindeutig auf beabsichtigte „Auflösungen“ ab). Im Hinblick auf die Sanktion der Unwirksamkeit, sofern die Wartefrist oder eine vorher erteilte Zustimmung durch das AMS nicht abgewartet wird, beziehe sich das Gesetz aber eindeutig auf „Kündigungen“. Dabei handle es sich laut OGH um keine planwidrige Lücke, sondern um eine bewusste Differenzierung im Gesetzeswortlaut und auch Widerspruch zur Massenentlassungsrichtlinie bestehe nicht. Daher seien nur während der Wartefrist oder vor Zustimmung durch das AMS erfolgte Kündigungen unwirksam, nicht jedoch einvernehmliche Auflösungen, auch wenn diese vom Dienstgeber veranlasst sind. Die einvernehmliche Beendigung des Dienstverhältnisses der Klägerin war daher wirksam.
Für die Praxis eröffnet diese Entscheidung dem Arbeitgeber die Möglichkeit, den Arbeitnehmern bereits unmittelbar nach der Meldung an das AMS einvernehmliche Auflösungen anzubieten ohne dass die Gefahr besteht, dass diese mit Unwirksamkeit bedroht sind. Selbst eine gänzliche Unterlassung der Meldung beim AMS trotz Erreichen der Schwellenwerte wäre zwar rechtswidrig, würde aber nicht dazu führen, dass Beendigungsvereinbarungen unwirksam sind.
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